
„Populismus und Pietismus sind sich fremd“
Gnadauer Präses: Aber manche Pietisten und Evangelikale sind anfällig dafür.

Vor einem „rechtspopulistisch verfremdeten Christentum“ hat der Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, Pfarrer Steffen Kern (Walddorfhäslach bei Reutlingen), gewarnt. Vertreter eines solchen Populismus seien unter anderem überzeugt, dass die Mehrheit der Gesellschaft fehlgeleitet sei. Der „Mainstream“ werde von ihnen als verdächtig und böse angesehen. Es bestehe bei ihnen ferner eine grundlegende Skepsis gegenüber Institutionen wie Parteien, Wissenschaft, Medien und Kirchen, sagte Kern in seinem Bericht vor der Mitgliederversammlung der pietistischen Dachorganisation, die digital tagte. Das Christliche sei bei solchen Populisten nicht das eigentlich Identitätsstiftende, sondern gemeinsame Feindbilder, etwa das Antiislamische, das Antiliberale und das Antisozialistische. Kern zufolge haben Christen jedoch eine „Pro-Haltung“ im Sinne der biblischen Aussage „Suchet der Stadt Bestes“ (Jeremia 29,7). Sie lebten gemeinsam nicht gegen, sondern für andere.
Große Mehrheit sehr besonnen
Kern zeigte sich überzeugt: „Pietismus und Populismus sind sich ihrem Wesen nach fremd.“ Nach seiner Einschätzung ist jedoch bei einer Minderheit der evangelikalen Bewegung in Deutschland und „wohl auch am Rande des pietistischen Spektrums“ eine gewisse Anfälligkeit für populistische Politisierungen und ideologische Verfremdungen des christlichen Glaubens zu verzeichnen. Es gebe „einzelne Akteure“, die gelegentlich mit ihren Äußerungen irritierten. Namen deutscher Vertreter nannte er nicht. Er nehme jedoch, so Kern, die „übergroße Mehrheit der Gemeinschaftsbewegung als sehr besonnen, behutsam und verantwortlich wahr“. Das gelte für den gesamten innerkirchlichen Pietismus, aber auch für weite Teile der Evangelischen Allianz. Der gelegentlich formulierte Verdacht, die sogenannte Querdenker-Bewegung speise sich primär aus den Milieus des Pietismus, habe sich als falsch erwiesen.

Impfdebatte entschärfen
Zur Frage der Corona-Impfung sagte Kern, es gebe dazu nicht „die“ Gnadauer Position. Er werbe aber dafür, möglichst viele Menschen mit Argumenten für eine Impfung zu gewinnen. Zurückhaltend äußerte sich der Präses zu einer generellen Impfpflicht. Sie sei zwar als letztes staatliches Mittel zur Pandemiebekämpfung ethisch legitim, aber ein solcher Schritt sei mit einigen rechtlichen, medizinisch-epidemiologischen, praktischen und sozialen Fragen verbunden, „die noch nicht alle hinlänglich geklärt erscheinen“. Kern plädierte dafür, die Impfdebatten „emotional zu entschärfen“. Der Eifer mancher Akteure wirke befremdlich: „Der Impfstatus ist kein Bekenntnisstatus.“
Nicht auf absteigendem Ast
Der Gnadauer Generalsekretär Frank Spatz (Kassel) sagte in seinem Bericht, die Landeskirchlichen Gemeinschaften sind „keine Bewegung auf dem absteigenden Ast“. Er verwies dazu auf das „Gemeindebarometer“, eine repräsentative Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD aus den Jahren 2020 und 2021. Darin heißt es im Blick auf evangelikale Gemeinden (Landeskirchliche Gemeinschaften und Freikirchen), dass in ihnen „im Schnitt ein deutlich aktiveres und lebendigeres Gemeindeleben vorliegt und diese insgesamt auch größere Wachstumschancen aufweisen als die Gemeinden der evangelischen Landeskirchen“. Spatz: „Wir haben allen Grund, hoffnungsvoll nach vorn zu schauen.“ Er legte erste Zwischenergebnisse aus einer noch laufenden statistischen Erhebung des Verbandes vor. Demnach gibt es in 23 Gemeinschaftsverbänden (insgesamt gehören 34 zu „Gnadau“) derzeit 35 Gemeindegründungsprojekte. Außerdem planen diese Verbände 44 Gründungen in den nächsten fünf Jahren. 94 Gemeinden und Gemeinschaften haben in den vergangenen zwei Jahren Neubelebungsprozesse durchlaufen.
Neu im Verband: Lebenswende
Die Mitgliederversammlung des Gnadauer Verbandes nahm am 18. Februar nahezu einstimmig ein weiteres Mitgliedswerk auf: den in der Suchtkrankenhilfe engagierten Verein „Lebenswende“. Das Werk unterhält Rehabilitationszentren in Frankfurt am Main und Hamburg. Über 1.000 Betroffene haben dort bisher Therapien durchlaufen. Nach Angaben des Werks schafften 70 % den Ausstieg aus der Sucht. Zum Gnadauer Verband gehören weitere Organisationen, die Suchtkranken helfen, darunter das Blaue Kreuz in Deutschland (Wuppertal) und das Weiße Kreuz (Ahnatal bei Kassel). Der Gnadauer Verband mit Sitz in Kassel umfasst knapp 90 Mitgliedsverbände und -werke. Er ist damit die größte eigenständige Bewegung in der EKD.
gnadauer.de | 0561 207990
© Foto(s) PRIVAT