THEOLOGIE

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Ohne Glanz und Gloria


Statt als mächtiger Herrscher kam der Messias als Baby auf die Welt. Warum Gott diesen Weg wählte, erklärt der promovierte Theologe Walter Hilbrands.

Das Alte Testament ist ein Buch der Hoffnung. Wie ein roter Faden zieht sich durch viele Bibelbücher die Erwartung auf einen idealen Herrscher. Auf jemanden, der die Zügel in die Hand nimmt. Der es besser macht als menschliche Könige. Das Volk Israel wartet auf eine göttliche Gestalt, den Messias, der mit Macht in diese Welt einbricht und alles zum Guten wendet. Viele Juden zur Zeit Jesu waren deshalb von Jesus enttäuscht. Das verheißene Friedensreich kam nicht. Jesus richtete kein sichtbares Reich auf. Er war so ganz anders, als man sich einen König vorstellte. Hatte sich das Alte Testament geirrt? Oder war dieser Jesus etwa gar nicht der verheißene Messias?

Ein König im Futtertrog

Die königliche Seite des Messias ist nur eine Seite der Medaille. Das Alte Testament berichtet aber auch von den menschlichen Seiten und vom Leiden eines Gottesknechtes (Jesaja 50,4–9). In dem bekannten Bibelabschnitt in Jesaja (52,13–53,12) ist sowohl von der Erhöhung als auch von der Erniedrigung des Knechts die Rede. Das Buch Jesaja identifiziert den kommenden König mit dem leidenden Knecht. Beide Figuren werden mit dem Geist Gottes ausgestattet. Beide führen Gottes Plan aus und halten sich in völliger Abhängigkeit von Gott. Beide haben einen weltweiten Auftrag. Beide sollen das Recht aufrichten und Gottes Herrschaft vorantreiben.

Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er’s stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth.“ Jesaja 9,5–6

Eine Fokussierung auf die königlichen Aspekte des kommenden Messias führt zu einem einseitigen Bild – zu einer falschen Erwartung und zur Enttäuschung. Aber es ist eine geniale Idee, dass der erwartete Herrscher zugleich auch als schwacher und leidender Mensch kommt. Zu Weihnachten wird kein „holder Knabe im lockigen Haar“ geboren, der nur „in reinlichen Windeln“ liegt, wie es in Weihnachtsliedern heißt. Der Gottessohn legt Glanz und Herrlichkeit ab. Er wird ein Mensch wie du und ich. Ein Mensch aus Fleisch und Blut. Der König ist zugleich der Knecht. So heißt es im Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach (1685–1750): „Der die ganze Welt erhält, ihre Pracht und Zier erschaffen, muss in harten Krippen schlafen.“

Bereits im Jesajabuch wird verheißen, dass der neue König David voll und ganz Mensch ist. Gegen die scheinbare Übermacht der Feinde mobilisiert Gott nicht etwa seine himmlischen Legionen. Im Gegenteil: Er setzt den mächtigen Herrschern ein kleines Kind entgegen: „Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst“ (9,5-6). Die vier Doppelnamen bringen menschliche und göttliche Aspekte zum Ausdruck.

Gott wollte schwach sein

Nur auf diesem Weg ist Erlösung möglich. Nur weil Jesus als wahrer Gott zugleich wahrer Mensch wurde, konnte er uns helfen. Nur weil er wirklich Mensch geworden ist und gelitten hat und für uns gestorben ist, konnte er stellvertretend unsere Sünde wegnehmen. Nur als sündloses Unschuldslamm konnte er unsere Schuld tragen. Auf so eine findige Idee kommt nur Gott! Das hat sich kein Mensch ausgedacht. Und so singen wir zu Weihnachten: „Gottheit und Menschheit vereinen sich beide, Schöpfer, wie kommst du uns Menschen so nah!“

Gott wird Mensch, um am eigenen Leib Schwachheit, Begrenzung und Leiden zu erfahren. Er erniedrigt sich. Er erlebt Angst, Gewalt, Misshandlung, Trauer, Schmerzen und schließlich den Tod. Er hat alles durchgemacht, worin wir versucht werden. Es gibt keinen Bereich in unserem Leben, den er nicht versteht. Deshalb beinhalten Advent und Weihnachten beides: die Engelchöre mit dem „Ehre sei Gott in der Höhe“, Licht, Lobpreis und Jubel. Doch schnell ist der Schall verhallt und die Finsternis macht sich wieder breit. Die Geburtsgeschichte berichtet von einer Notunterkunft, von ärmlichsten Verhältnissen, Anfeindung, Lebensgefahr und einem Flüchtlingsdrama.

„’n bietje scheef hett Gott leev“

Zurück zum Alten Testament: Schon im ersten Buch Mose erwählt Gott häufig nicht den Erstgeborenen. Abel, Abraham, Isaak, Jakob und Juda waren keine Erstgeborenen. Gegen Ende lesen wir, dass der alte Jakob seine Arme kreuzt, als er seine Enkel Ephraim und Manasse segnet (1. Mose 48,13-20). Gott liebt das Schwache und das Niedrige. In Ostfriesland gibt es das Sprichwort: „’n bietje scheef hett Gott leev“ (ein bisschen schief hat Gott lieb). Was groß und stark in der Welt ist, kann ihn nicht beeindrucken. Durch Gott kann das Kindergeplärr mehr ausrichten als das Kriegsgeschrei der Feinde (Psalm 8,3). Er ist Anwalt der Witwen und Waisen. Er liebt den Fremdling und den Flüchtling (5. Mose 10,18; Psalm 68,6).

Bei ihm zählen nicht Macht, Prunk und Protz. Er fragt nach Gerechtigkeit, nach Liebe und Vertrauen. Jesu Mutter Maria a hat das begriffen. Sie freut sich darüber, dass Gottes Gedanken ganz anders sind: „Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen“ (Lukas 1,52). Das erlebt sie am eigenen Leib. Gott handelt nach anderen Maßstäben als die Herrscher dieser Welt.

Die Geheimwaffe Gottes

Zu Weihnachten fährt Gott deshalb nicht starke Geschütze und überirdische Armeen auf, sondern kommt sozusagen sagen mit einer Geheimwaffe: mit einem hilflosen Baby, das er die Welt retten will. durch Es gibt Unworte im Deutschen, wie „austherapiert“. Eine weitere Therapie wird versagt, weil alle bisherigen Bemühungen erfolglos waren. Womöglich erhält man kein BAföG, weil man „nicht förderungswürdig“ ist. Aber bei Gott gibt es keine hoffnungslosen Fälle. Bei ihm ist niemand „austherapiert“ oder nicht „förderungswürdig“. Wie gut! Seinee besondere Aufmerksamkeit erhält das „geknickte Rohr und der glimmende mende Docht“ (Jesaja 42,3). Er setzt seinen ganzen Ehrgeiz daran, die verlorene Menschheit zu retten. Auf ganz andere Weise als erwartet. Durch Krippe und Kreuz. Durch Advent ohne Glanz und Herrlichkeit. Gott sei Dank! 

Walter Hilbrands ist Dozent für Altes Testament und Dekan an der Freien Theologischen Hochschule (FTH) Gießen.
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IDEA SPEZIAL Advent & Weihnachten 2022

IDEA SPEZIAL Advent & Weihnachten 2022

2022-11-29

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GESELLSCHAFT

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